Das traditionelle Richtfest nach Fertigstellung des Rohbaus gehört zu den Handwerksbräuchen, die noch heute genauso gern gefeiert werden wie zur Zeit ihrer Entstehung. Wenn mit dem Dachstuhl der höchste Teil des Baus steht, lädt der Bauherr die bis dahin beteiligten Handwerker, Architekten und Bauleiter ein.
Der Zimmermann spricht den Richtspruch, trinkt... und wirft schließlich das leere Glas hinab, denn Scherben bringen Glück. Ursprünglich mußte der Bauherrr den letzten Nagel einschlagen und für jeden benötigten Schlag eine Maß Bier an jeden Handwerker zahlen. Gewöhnlich übersteigt jedoch die Zahlpflicht das Konsumvermögen.
Richtsprüche entstanden im Mittelalter mit dem Aufkommen der Zünfte und damit des separaten Zimmerhandwerks. In ihnen wird die Freude über das Gelingen des Bauwerks zum Ausdruck gebracht, man dankt Gott, lobt Handwerker und Planer vermischt mit einer gehörigen Portion Humor und Ironie.
Mit Gunst und Verlaub!
Hier steht gar herrlich anzuseh'n,
- der Bauherr wird es gern gesteh'n -
das neue Haus, stolz aufgericht'.
Brav tat ein jeder seine Pflicht,
der an dem Bau mit tätig war,
man scheute Müh' nicht noch Gefahr.
Auf starken Mauern festem Grund
das Dachgespärr blickt in die Rund
in seines Holzwerks voller Pracht, -
recht als ein Meisterstück gemacht,
damit's für lange Zeit zum Nutz
den Menschen biete sichern Schutz.
Gesegnet sei das neue Haus
und die da gehen ein und aus.
Den Bauherrn, seine Lieben,
mög nie ein Leid betrüben:
Hoch!
Und allen, die hier unten steh'n,
wünsch Glück ich viel und Wohlergeh'n:
Hoch!
Der letzte Schluck, er gilt der Ehre,
des Handwerks, dem ich angehöre:
Hoch!
Du, Glas, zersplittere im Grund!
Geweiht sei dieses Haus zur Stund!
Früher begaben sich die Gesellen nach ihrer Gesellenprüfung auf eine dreijährige Wanderschaft, um sich in der Ferne bei anderen Meistern zu arbeiten und ihre Fertigkeiten zu vervollkommnen. Dabei durften sie sich ihrem Heimatort nur bis auf 50 Kilometer nähern, Notfälle wir schwere Krankheiten in der Familie ausgeschlossen.
Teilweise wird dieser Brauch auch heute noch praktiziert. So kann man hin und wieder einem zünftig gekleideten Zimmerergesellen mit geschnürtem Bündel begegnen.
Wie viele Handwerkszünfte hatte auch die der Zimmerleute ihre eigenen Lieder, die sich teilweise bis heute gehalten haben. Sie erzählen vom Arbeitsalltag und Berufsstolz der Zimmerer.
Des Zimmerers Reiselied
Wohlan, Zimmermann, schau in die Welt,
zieh wandernd durch die Länder!
Fehlt es dir an Hab' und auch an Geld,
sie sind unnütze Blender.
Ich bin ein freier Zimmermann,
der überall hingehen kann.
wo mir die Welt gefällt, wo mir die Welt gefällt.
Wohlan, Zimmermann, Holz her dem Glück!
Zieh auf die Hölzer alle,
richte auf den Stuhl flink Stück für Stück
mit einem kräft'gen Schalle:
Ich bin ein freier Zimmermann...
Wohlan, Zimmermann, hoch ist die Welt
vom First zur Erde nieder.
Ist's Richtfest bestellt und dazu das Geld,
dann singe deine Lieder:
Ich bin ein freier Zimmermann...
Wohlan, Zimmermann, hineingestellt!
Die Welt ist frei und offen
trotz Mangel an Geld. Was der Meister freihält,
wird dann erst recht versoffen.
Ich bin ein freier Zimmermann...
Wohlan, Zimmermann, genug getan!
Geh nach Haus in deine Heimat.
Lach ein Mädchen an, das kochen kann
und auch eine Aussteuer hat.
Ich bin ein freier Zimmermann...
Wohlan, Zimmermann, kommt's Alter dann,
setz dich zur letzten Ruh'.
Bedeckt dich das Grab, mit dem Wanderstab
reis' du dem Herrgott zu!
Ich bin ein freier Zimmermann,
der auch in' Himmel kommen kann,
wo mir's bestimmt gefällt,
wo mir's bestimmt gefällt.
Satz: Christoffer Wolf